Es ist manchmal gut, wenn der Mensch mehr als eine schlimme Eigenheit hat; dann hält eine der andern das Gleichgewicht, oder die eine macht gar wieder gut, was die andere ins Unrecht gesetzt hat. So war Herzog Boleslaus der Kahle von Liegnitz zunächst ein sehr jäher und ungeduldiger Herr. Schnell fällte er einen vernichtenden Urteilspruch und kümmerte sich wenig darum, ob er gerecht oder ungerecht war. Hauptsache: die Geschichte war erledigt. Einmal saß er zu Gericht über einen Bürger aus Goldberg, den man wohl eines schweren Verbrechens beschuldigt, aber noch lange nicht überführt hatte. Die meisten hielten den Mann, den sie seit Jahren als bieder und rechtlich kannten, überhaupt für unschuldig und bemühten sich, seine Freisprechung zu erlangen. Dem Herzog aber dauerte die Geschichte schon viel zu lange, er hatte noch ein anderes wichtiges Geschäft vor und saß wie auf Nadeln. Da erhob er sich denn plötzlich und sagte, seiner Überzeugung nach sei der Mann dem Schwerte verfallen und noch vor Untergang der Sonne hinzurichten. Er erwarte schriftlichen Bescheid über die Vollstreckung des Urteils, und damit stieg er zu Pferde und ritt von dannen. Die Richter aber achteten die Gebote der Gerechtigkeit höher als den raschen Befehl des Fürsten und nahmen den Rechtsfall noch einmal gründlich durch. Und siehe, es stellte sich klipp und klar heraus, daß der Angeklagte völlig unschuldig war! Was nun tun? Der Herzog hatte bereits das Todesurteil gefällt, und man wußte, daß bei ihm trotz aller Vorstellungen keine Gnade für den Bürger zu erwarten stand. Was er befohlen hatte, mußte ausgeführt werden. Da blieb nur eins übrig: Man ließ wie aus Versehen die Kerkertür offen, und der Verurteilte entfloh. Dem Herzog aber wurde berichtet, das Urteil sei vollzogen. Ein anderes Ausfluchtsmittel wußte man nicht und hielt eine Notlüge für weniger sündhaft als einen Mord von Rechts wegen. Nach etlichen Jahren, als Gras über die Sache gewachsen zu sein schien, kam der so sehr geprüfte Mann nach Goldberg zurück und nahm sein altes Geschäft wieder auf. Da muß es das Schicksal haben wollen, daß der Herzog wieder einmal in Goldberg einreitet, und als er um eine Ecke biegt, steht plötzlich jener Bürger vor ihm, einen Stock in der Hand und eine Bütte auf dem Rücken, vor Schreck starr wie ein Toter und so farblos wie ein Gespenst. Denn wie konnte er anders meinen, als daß ihn der zornige Herzog zum zweitenmal verurteilen würde! Aber nun rettete ihn die zweite schlimme Eigenschaft des wunderlichen Herrn, sein lächerlicher Aberglaube. Ebenso starr und farblos wie der Büttenmann war nämlich auch der Herzog. Mit einem Ruck hielt er das Pferd an und wagte sich nicht weiter. Wie eine Übelkeit kam es ihn an, und er schloß die Augen. Diese Gelegenheit benutzte der Bürger und verschwand in einem Seitengäßchen, und als der Herzog die Augen wieder auftat, war er nicht mehr da. Der Herzog sah aus wie einer, dem das Todesurteil verlesen wird. Das Gespenst sucht niemand andern als mich, den ungerechten Richter, dachte er. Da wird es Zeit, daß ich mich auf die Strümpfe mache, sonst dreht es mir gar den Hals um. Er riß das Roß herum und sprengte zur Stadt hinaus, daß die Funken stoben. Boleslaus der Kahle ließ sich nie mehr in Goldberg sehen, und die Goldberger verlangten auch nicht nach ihm.
Es ist manchmal gut, wenn der Mensch mehr als eine schlimme Eigenheit hat; dann hält eine der andern das Gleichgewicht, oder die eine macht gar wieder gut, was die andere ins Unrecht gesetzt hat.
So war Herzog Boleslaus der Kahle von Liegnitz zunächst ein sehr jäher und ungeduldiger Herr. Schnell fällte er einen vernichtenden Urteilspruch und kümmerte sich wenig darum, ob er gerecht oder ungerecht war. Hauptsache: die Geschichte war erledigt.
Einmal saß er zu Gericht über einen Bürger aus Goldberg, den man wohl eines schweren Verbrechens beschuldigt, aber noch lange nicht überführt hatte. Die meisten hielten den Mann, den sie seit Jahren als bieder und rechtlich kannten, überhaupt für unschuldig und bemühten sich, seine Freisprechung zu erlangen. Dem Herzog aber dauerte die Geschichte schon viel zu lange, er hatte noch ein anderes wichtiges Geschäft vor und saß wie auf Nadeln. Da erhob er sich denn plötzlich und sagte, seiner Überzeugung nach sei der Mann dem Schwerte verfallen und noch vor Untergang der Sonne hinzurichten. Er erwarte schriftlichen Bescheid über die Vollstreckung des Urteils, und damit stieg er zu Pferde und ritt von dannen.
Die Richter aber achteten die Gebote der Gerechtigkeit höher als den raschen Befehl des Fürsten und nahmen den Rechtsfall noch einmal gründlich durch. Und siehe, es stellte sich klipp und klar heraus, daß der Angeklagte völlig unschuldig war!
Was nun tun?
Der Herzog hatte bereits das Todesurteil gefällt, und man wußte, daß bei ihm trotz aller Vorstellungen keine Gnade für den Bürger zu erwarten stand. Was er befohlen hatte, mußte ausgeführt werden.
Da blieb nur eins übrig: Man ließ wie aus Versehen die Kerkertür offen, und der Verurteilte entfloh. Dem Herzog aber wurde berichtet, das Urteil sei vollzogen. Ein anderes Ausfluchtsmittel wußte man nicht und hielt eine Notlüge für weniger sündhaft als einen Mord von Rechts wegen.
Nach etlichen Jahren, als Gras über die Sache gewachsen zu sein schien, kam der so sehr geprüfte Mann nach Goldberg zurück und nahm sein altes Geschäft wieder auf.
Da muß es das Schicksal haben wollen, daß der Herzog wieder einmal in Goldberg einreitet, und als er um eine Ecke biegt, steht plötzlich jener Bürger vor ihm, einen Stock in der Hand und eine Bütte auf dem Rücken, vor Schreck starr wie ein Toter und so farblos wie ein Gespenst. Denn wie konnte er anders meinen, als daß ihn der zornige Herzog zum zweitenmal verurteilen würde!
Aber nun rettete ihn die zweite schlimme Eigenschaft des wunderlichen Herrn, sein lächerlicher Aberglaube. Ebenso starr und farblos wie der Büttenmann war nämlich auch der Herzog. Mit einem Ruck hielt er das Pferd an und wagte sich nicht weiter. Wie eine Übelkeit kam es ihn an, und er schloß die Augen.
Diese Gelegenheit benutzte der Bürger und verschwand in einem Seitengäßchen, und als der Herzog die Augen wieder auftat, war er nicht mehr da. Der Herzog sah aus wie einer, dem das Todesurteil verlesen wird. Das Gespenst sucht niemand andern als mich, den ungerechten Richter, dachte er. Da wird es Zeit, daß ich mich auf die Strümpfe mache, sonst dreht es mir gar den Hals um. Er riß das Roß herum und sprengte zur Stadt hinaus, daß die Funken stoben.
Boleslaus der Kahle ließ sich nie mehr in Goldberg sehen, und die Goldberger verlangten auch nicht nach ihm.